Mühsam rammt Bauer Peter Gröber die Eisenstange in die feuchte Wiese. Er ruckelt etwas, damit er sie wieder heraus ziehen kann, rammt sie wieder und wieder in den Boden. Seine gekonnten Stösse zeigen, dass er diesen Bewegungslauf tausendfach jährlich macht. Mit jedem Mal rammt sich die Stange tiefer in den Boden. Um ihn herum liegt frisch gemähtes Gras. Es duftet nach Blumen, nach Kräutern, nach Gras. Wir hören die Vögel zwitschern, der satte Klang der Kuhglocken ist ständiger Begleiter.
Doch diese bezaubernde Bergwelt ist hier Alltag. Genauso wie das Heumachen zum Alltag des Bauern gehört. Gras ist Geld. Eine Weisheit, die in anderen sozialen Schichten und vor allem Großstädten eher andere Assoziationen hervorruft, gehört hier zum normalen Leben. Durch das Trocknen wird das Gras zu Heu. Das Heu ist Futter für die Tiere, vor allem in der Zeit, wenn die Natur nicht mehr so verschwenderisch ihr Füllhorn mit Nahrungsmitteln ausschüttet. Kühe, Pferde, Schweine, Schafe, Ziegen, Hühner, Esel – sie und noch mehr Tiere freuen sich über das trockene Futter, das noch über eine ganze Zeit seine Energien, seine Kraft in sich speichert. Heu ist natürliches Kraftfutter.
Das Gras will getrocknet werden. Dafür liegen rings um uns verteilt „Stiefel“. Doch weit gefehlt, wir reden nicht von Schuhen. Im Stubaital sind Stiefel lange mannshohe Stangen mit zwei Querstäben. Peter Gröber nimmt einen Stiefel auf und rammt diesen in eines der soeben vorbereiteten Löcher hinein. Mit voller Kraft, so dass er tief im Boden fest stecken bleibt.
Die Stiefel sind Holzgestelle, auf denen vor dem Aufkommen der maschienenunterstützten Landwirtschaft das frisch getrocknete Gras zum vollständigen Trocknen aufgehängt wird. Sie kamen vor allem bei lang anhaltender feuchter Witterung zum Einsatz, vergleichbar mit dem Frühsommer 2016. Wikipedia weiss, dass diese Heureiter auch Reuter genannt werden, im bayerischen Alpenraum sind sie auch als Heumandl oder Heumadl bekannt. Wikipedia klärt uns weiterhin auf, dass diese Gestelle auch Heinze, Huanza oder Hoinze heissen, im Nordtiroler Unterland auch als Stanker oder Stangger bekannt sind und der Name Stiefel wohl aus dem südtiroler Pustertal in das Stubaital gewandert ist, denn dort würde man Stiffla sagen.
Glücklicherweise wird Nachbarschaft und Freundschaft im Stubaital gross geschrieben. So sind zum „stiefeln“ Bäuerinnen von anderen Bio-Bauernhöfen zum Helfen angekommen. Außerdem dürfen die Hotelgäste und auch andere Touristen im Stubaital gerne mit anpacken. So erlernen wir schnell, wie körperlich anstrengend diese Arbeit sein kann. Das Gras muss möglichst schnell vom Boden aufgehoben werden, muss möglichst gut geschichtet, ähnlich wie Dachziegel und fest auf dem Stiefel liegen, doch gleichzeitig locker genug, damit es trocknen kann.
Das Wichtigste beim Stiefeln ist die „Kappe“ oder auch der „Hut“, wie uns Bauer Gröber erklärt: diese letzte oberste Grasschicht, wird etwas breiter, etwas kompakter aufgesetzt. Denn diese Abdeckung schützt das Gras darunter vor Regen. So wird das Gras nicht schlecht, es verfault nicht bei neuerlichem Regen.
Zuerst stehen wir nur etwas staunend und schauend daneben. Der erste Gedanke ist: Mensch, das ist doch nicht so schwer. Doch schnell begreifen wir, dass diese gute alte traditionelle Handarbeit am Berg zwar nicht schwer, so doch aber körperlich anstrengend ist. Denn wir sind die gute, frische Höhenluft nicht gewöhnt. Und das permanente Bücken ist für die paarmal, die wir hier jetzt zupacken, nicht wirklich schwierig. Doch begreifen wir schnell, dass es auf Dauer eine sehr mühsame Arbeit ist. Zumal wir jetzt nur ein kleines Wiesenstück vor uns haben, in früheren Zeiten musste in viel kürzerer Zeit viel mehr erledigt werden.
Nach des Tages Qual und Hitze schauen wir zufrieden, glücklich und auch etwas erledigt auf die Wiese, die nun voll mit grünen Stiefeln vor uns liegt. Herrlich. Und es ging alles viel schneller, als wir dachten. Das lag mit Sicherheit an den vielen geübten Händen, die tatkräftig mitgeholfen haben. Weniger an meiner ungeübten Großstädterkondition. Der interessante Einblick in diese Stubaier Tradition wird belohnt mit Kaffee und Kuchen am Omesbergerhof sowie einer kleinen Führung durch die sehr schönen Gästezimmer, die dieser Bauernhof bietet. Wir kommen gern wieder!
Grundvoraussetzung, um gutes Heu zu machen ist warmes und trockenes Wetter. Sobald das Gras abgetrocknet ist, kann man mähen, anschließend wird es liegen gelassen. Je nachdem wie dicht das Gras gewachsen ist (gut wäre ein feuchter Frühling), muss man ein oder zweimal das Heu umdrehen. Am Talboden kann man das mit dem Traktor und dem Heuwender (Kreisler) machen, am Hang mit einem Heurechen (das sogenannte „ummekehren“) oder mit einer Heugabel (das sogenannte „worrpn“). Nachdem das Heu zwei bis drei Tage am Feld gelegen ist, ist es schön trocken und kann in die Scheune (Tennen) gebracht werden.
Damit man ein schönes Heu und somit ein schönes Futter bekommt gibt es mehrere wichtige Faktoren. Das Wichtigste ist, dass es keinen Regen gibt, sonst bekommt man nie mehr die Qualität wie ohne Regen, was auch an der Farbe gut erkennbar ist. Ein weiterer Punkt ist, dass man nicht zu oft das Heu mit den Maschinen wendet, da so das Heu die Heublumen immer mehr verliert und diese somit nicht in die Scheune mitgenommen werden können.
Das kommt immer auf die Lage des jeweiligen Betriebes an. Im vorderen Stubaital fängt man in der Regel früher mit dem Heu machen (Hagen) an wie im hinteren Stubaital, das hängt vor allem mit der länger anhaltenden Schneedecke im Frühjahr zusammen. Aber im Grunde kann man sagen beginnt die Heuernte im Tal Ende Mai/Anfang Juni mit dem ersten Schnitt, Ende Juli bis Ende August mit dem zweiten Schnitt und an manchen Betrieben wird auch dreimal gemäht da ist der dritte Schnitt Mitte/Ende September. Im Stubaital wird aber auch noch auf vielen höheren Almen gemäht, dort ist es aber aufgrund der Seehöhe nur einmal möglich zu mähen und dies wird in der Regel Mitte/Ende Juli zwischen erstem und zweitem Schnitt im Tal gemacht. Den letzten Schnitt im Tal übernehmen dann die Kühe, Schafe, Ziegen selber, wenn sie von ihren Almen ins Tal zurückkehren und somit alle Wiesen noch einmal abgrasen können.
Wie lange man das Heu liegen lassen soll, kommt hauptsächlich auf das Wetter drauf an. In der Regel sind es zwei bis drei Tage, im Herbst können es auch vier Tage sein. Bei heißem, sonnigem Wetter ist es auf sonnenseitigen Hängen oft möglich, in der Früh zu mähen und am nächsten Vormittag mit der Heuernte schon zu starten. Wie lange das Heu am Feld liegen soll, hängt aber auch mit der anschließenden Aufbewahrungsform des Heues zusammen, Heu was zu Heuballen gemacht werden oder einfach so in der Scheune gelagert wird muss sehr trocken sein, sonst fängt das Heu an zu Schimmeln oder es kann auch heiß werden und so zu einem Brand führen. Viele Landwirte haben aber sogenannte Belüftungen, in denen das Heu mit warmer Luft noch einmal in der Scheune weiter getrocknet werden kann.